Wie erreicht man Tempogewinn?
Beim Schachspiel finden wir eine der wichtigsten
Lehren, die wir aus der Spieltheorie
ziehen können:
Im
ganzen Spiel geht es nicht nur darum, besser aufgestellt zu sein und
mehr Figuren zu schlagen als der Gegner. Es geht um das Tempo, mit dem
man seine Figuren entwickelt.
Bei der Eröffnung geht es darum,
sich schneller als der Gegner zu entwickeln. Im Mittelspiel entscheidet
das Tempo, wer angreift und wer sich verteidigen muss. Im Endspiel entscheidet
das Tempo, wer einen Bauern umwandeln kann...
Schachspieler sprechen deshalb von Tempogewinn oder sogar von
"einem Tempo Vorsprung", wenn man um einen Zug schneller ist als der
Andere.
Was bedeutet das für das praktische Leben?
Der Wert der Spieltheorie liegt in der Kunst, theoretische Erkenntnisse aus einem solchen Spiel ins praktische Leben zu übertragen. Was können wir da lernen?
Ein Montageroboter mag deutlich teurer sein, als eine feste Montageeinrichtung. Dafür genügt aber ein Stück Software und schon arbeitet er am nächsten Fahrzeugmodell. Das ist also eine Stelle, an der sich schnellerer Wandel einfach kaufen lässt. Aber jeder Fall von Tempogewinn ist anders.
Bleiben wir deshalb bei der Spieltheorie. Wirklich interessant wird es, wenn wir uns ansehen, wie ein Schachspieler Tempo gewinnt:
Sie sind am Zug!
Die erste Möglichkeit kann man als Spieler schlecht beeinflussen, im praktischen Leben aber sehr wohl: Weiß zieht zuerst. Wer als erster beginnt, hat bereits einen Zug Vorsprung. Zögern Sie also nicht zu lange. Warten Sie nicht, bis ein Konkurrent den ersten Schritt tut. Packen Sie Ihr Vorhaben an.
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Das Bauernopfer
Die zweite Möglichkeit ist das Bauernopfer. Der Schachspieler lässt ohne Gegenwehr einen seiner Bauern schlagen. Sein Gegner braucht dafür einen, manchmal auch zwei Züge. Diesen einen Zug nutzt man, um sich weiter zu entwickeln.
Im praktischen Leben heißt das: Man verzichtet auf etwas, um freie Zeit zu gewinnen. Eine Hausfrau, die ihre Lebensmittel je nach Sonderangeboten in mehreren Geschäften zusammenkauft, verliert Zeit. Kauft Sie alles bei einem Händler, verliert sie Geld. Ein Unternehmensgründer wird vielleicht darauf verzichten, nach billigeren Lieferanten zu suchen und dafür lieber mehr Neukunden gewinnen. Er erleidet einerseits einen materiellen Verlust, erzielt aber auf der anderen Seite Wachstum ...
Mehr dazu beim Thema "Value Curve": Neues entsteht auch durch gezieltes Weglassen
Tempogewinn ist sehr häufig durch materielle Verluste zu erzielen: Durch den Verzicht auf Kleinaufträge, Verzicht auf den Umsatz mit Randprodukten, Verzicht auf den billigsten Lieferanten für jede Schraubensorte, Verzicht auf Randfunktionen bei einem EDV-Projekt, Mut zur Lücke bei einem Schüler ...
In der "New Economy" zur Zeit des Internet-Booms hatte das Bauernopfer gleich zwei Bedeutungen. Es wurde sehr viel Geld für die Geschwindigkeit geopfert, aber man vergaß dabei, dass man nicht vom Tempo leben kann, sondern nur vom Ertrag. Im Schach sind schon zwei geopferte Bauern ein großes Risiko. Kein Schachspieler würde gar sein Spiel damit eröffnen, dass er gleich seine Dame, Türme und Läufer opfert. Und so waren dann die ahnungslosen Aktionäre das Bauernopfer ...
Durch "Opfer" kann man Tempo gewinnen. Aber auch ein solches Opfer muss ein gutes Geschäft sein. Das gewonnene Tempo muss den Wert des Opfers übersteigen.
Eine unkomplizierte Stellung
Der Schachspieler kann oftmals Tempo gewinnen, indem er seine Stellung einfach hält. Man spricht von "gefesselten Figuren", wenn in dem Geflecht gegenseitiger Deckung immer mehr Figuren nicht mehr ohne Gefährdung der ganzen Stellung bewegt werden können. Eine kunstvoll aufgebaute Stellung kann lähmende Wirkung haben. Dann hat Stellung nur noch mit Stehen und nicht mehr mit Bewegen zu tun.
Lähmende Komplexität findet man auch in der Wirtschaft. Da sitzt bei einem Unternehmen der Verkaufsleiter in der Europazentrale in Paris, das Rechenzentrum ist bei einem Schwesterunternehmen in London, das Geld liegt im Cash-Pool bei einer amerikanischen Bank, der Mail-Server steht wieder bei einem anderen Unternehmen, Material muss zentral eingekauft werden, um ja keinen Rabatt zu versäumen, Direktkontakte zum Kunden gibt man auf, um z. B. Aktivitäten in Asien bei der Konzernniederlassung in Calcutta zu bündeln...
Es ist schwer, ein solches Unternehmen zu verändern, zu verkaufen, neu auszurichten, eben am Markt wieder einmal neu in Stellung zu bringen.
Lernen wir daraus: Oft ist einfacher besser.
Ein klares Ziel
Ein Schachspieler muss nicht haarklein die nächsten zwölf Züge vorausplanen, um gut zu spielen. Aber er muss seine Richtung kennen, einzelne Vorhaben realisieren und einen Angriff systematisch aufbauen.
Ganz im Gegensatz dazu steht die abwartende Spielweise. Ganz vorsichtig aufbauen. Erst mal sehen, was der Gegner tut. Reagieren statt Agieren. Die fatale Folge dieser Spielweise ist oft ebenfalls ein dramatischer Tempoverlust. Wenn man die Pläne des Gegners erkennt, ist es vielleicht schon zu spät.
Auch diese Beobachtung machen wir im wirklichen Leben in gleicher Weise: Abwarten bedeutet Wartezeiten. Klare Ziele machen Tempo. (Nutzen Sie meineZIELE !)
Zeit für die Dame?
Das Tempo im Schachspiel kann sich dramatisch verschieben, wenn ein Spieler zu früh seine Dame ins Spiel bringt. Sie ist die wertvollste Figur. Sie zieht Aufmerksamkeit auf sich, wird angegriffen und muss dann permanent geschützt oder aus der Angriffslinie gezogen werden.
Auch hierzu kann man viele Parallelen im praktischen Leben ziehen: Projekte, die zu früh begonnen zu viele Ressourcen verzehren, ohne entsprechenden Nutzen zu bringen. Aber auch der Vorgesetzte, der viel zu viele Dinge selbst erledigen will und schließlich in den Details hängenbleibt.
Ein Unternehmen, das zu viele Dinge selbst leisten will, verzettelt sich und wird langsam. Outsourcing und Kooperationen sind einerseits ein Verzicht auf eigene Wertschöpfung. Andererseits machen sie schlanker und beweglicher.