Zeitwettbewerb in der Praxis
Die wichtigste Frage ist zunächst, ob Zeitwettbewerb als Ganzes oder in Teilschritten angepackt werden soll. Die Antwort hängt ab von der Unternehmensgröße, der verfügbaren Managementkapazität und weiteren Faktoren.
Die vorausgegangenen Abschnitte haben folgendes gezeigt:
1. Zeitwettbewerb ist eine Sache des ganzen Unternehmens. Die Ansatzpunkte sind sehr vielfältig.
2. Die Maßnahmen zur Führung von Zeitwettbewerb erstrecken sich im Wesentlichen auf die Gebiete EDV, Arbeitsmethodik und Organisation.
3. Die Realisierung ist ein umfangreiches Projekt. Es besteht aber die Möglichkeit, das Gesamtprojekt in übersichtliche Teilprojekte aufzuspalten.
Ein großes Gesamtprojekt ...
Die erste Frage ist nun, ob die Umstellung auf Zeitwettbewerb in einem großen Schritt oder in vielen Einzelschritten erfolgen soll. Diese Frage ist zu allernächst eine Frage des Aufwandes und der Risikobereitschaft. Mit viel Geld und einem großen Projektrisiko lässt sich eine solche Umstellung schneller bewältigen als in Einzelschritten. Für mittelständische Unternehmen scheidet eine solche Vorgehensweise in der Regel aus. Unternehmen mit großer Finanzkraft haben allerdings gezeigt, dass diese Vorgehensweise möglich ist und auch zu großen Erfolgen führen kann.
Es gibt noch einen zweiten Grund, der für das Großprojekt spricht. Das ist der Einsatz einer neuen, integrierten operativen Software für das ganze Unternehmen. Einzelschritte müssen sehr genau vorausgeplant werden, wenn am Ende ein voll integriertes System stehen soll. Ist das Unternehmen bereits komplett mit einer integrierten Standardsoftware wie SAP oder Baan gesteuert, fällt die gleichzeitige Konzentration auf Zeitwettbewerb in allen Abteilungen leichter.
... oder lieber Einzelprojekte?
Für Teilprojekte spricht nicht nur ein enormer Kostenvorteil. Einzelprojekte führen schneller zu merklichen Erfolgen und binden deutlich weniger Managementkapazität. Viele Unternehmen kommen leicht ohne die mit zahllosen unnötigen Funktionen überfrachteten großen Softwaresysteme aus.
Gerade mittelständische Betriebe haben gar nicht die
vielen Mitarbeiter, um viele tausende Tabellen zu pflegen, damit das
Softwaresystem überhaupt läuft. Oft bedeutet nicht die Einführung von
noch mehr EDV einen Geschwindigkeitsgewinn, sondern der Verzicht auf
schon vorhandene Programme. Daten, die niemals genutzt werden, braucht
auch niemand zu erstellen.
Wird Zeitwettbewerb in Teilprojekten eingeführt, entsteht am Ende eine stärker modularisierte Lösung. So bleibt das Unternehmen als Ganzes beweglicher. Große, integrierte Lösungsansätze führen tendenziell dazu, zwar den Durchsatz zu beschleunigen, dafür aber die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens zu lähmen. Sauber modularisierte Teilprojekte erzielen als Ergebnis beides: Schnelleren Durchsatz in allen Abläufen und eine schnelle Änderbarkeit von Abläufen.
Und wer schon sicher, dass seine jetzige Struktur auch nur zehn Jahre lang die Gleiche bleiben wird?
Wer organisiert den Zeitwettbewerb?
Zeitwettbewerb ist ein großes Anfangsprojekt und eine Daueraufgabe zugleich. Die Umstellung auf Zeitwettbewerb in einem einzelnen großen Projekt benötigt weit mehr Managementkapazität als in einem gesunden Unternehmen frei verfügbar ist. In großen Unternehmen bleibt nur die Wahl zwischen wenigen großen Unternehmensberatungen, die mit einer großen Anzahl Berater gleichzeitig anrücken können.
Bei mittelständischen und kleineren Unternehmen ist in der Regel noch weniger freie Managementkapazität verfügbar. Es besteht aber die wesentlich effizientere Möglichkeit, spezialisierte Einzelberater einzusetzen und, soweit es sich um reine EDV-Projekte handelt, auf relativ kleine EDV-Unternehmen zurückzugreifen.
Soweit der Aspekt der Projektgröße. Die Daueraufgabe
Zeitwettbewerb erzwingt andererseits einen Transfer von Know How vom
Berater auf die leitenden Angestellten des Unternehmens. Insbesondere
mittlere und untere Managementebenen können sich der Aufgabe Zeitwettbewerb
nicht entziehen. Durch die relativ schnell wieder einsetzende Betriebsblindheit
ist es zwar sinnvoll, in längeren Zeitabständen immer wieder "Zeit-Audits"
und Engpassanalysen von externen Beratern durchzuführen zu lassen. Auch
reine EDV-Strukturen sind möglicherweise dauerhaft auslagerbar. Die
Hauptlast permanenter Verbesserungen auf rein organisatorischen Gebieten
trägt jedoch das firmeneigene Management.
Bewusstseinsbildung
Der Hinweis auf Beschleunigungsmöglichkeiten führt
oft zur Antwort, man hätte doch als modernes Unternehmen keinen Nachhilfe-Unterricht
in Sachen Zeitwettbewerb nötig. Das ist in der Regel nicht Arroganz,
sondern eine Art Betriebsblindheit, wie wir sie von vielen Situationen
her kennen. Häufig weiß das Management gar nicht, wie schnell tatsächlich
geliefert wird. (In der Regel ermittelt man die Lieferzeit über den
Umsatz, 20 Millionen Monatsumsatz bei 10 Millionen Auftragsbestand bedeutet
zwei Wochen Lieferzeit ...) Die Streuung der Lieferzeit, die Aufteilung
auf große und kleine Aufträge, die Lieferzeit bezogen auf die Anzahl
der Auftragspostionen, die systematische Bevorzugung oder Benachteiligung
bestimmter Kunden und vieles andere ist dem Management oft nicht bekannt.
Die Lieferzeit steht nicht in der Bilanz. Zeitwettbewerb erfordert wie beim Zeitmanagement des Einzelnen zunächst eine Bestandsaufnahme und Möglichkeiten, zu messen oder zumindest fundiert zu schätzen. So kann erst das Bewusstsein für den gegenwärtigen Zustand geschaffen werden.
Wenn wir schon von Bewusstseinsbildung sprechen, dann gehört hierher noch ein zweites Thema: Häufig ist es recht einfach und oft genug noch kostenlos, mit einfachen organisatorischen Tricks die Lieferzeit im Durchschnitt zu beschleunigen, ohne dass die Beteiligten und jene, die es durchführen sollen, erkennen können, warum ein konkreter Auftrag dadurch schneller durchgeführt werden sollte. Die Statistik, also der Durchschnitt, wird besser. Die Ursachen bleiben dem Nichtfachmann verborgen. Wir Menschen haben ein erschreckendes Defizit im Denken in statistischen Zusammenhängen und Wahrscheinlichkeiten. Siehe dazu ein berühmtes Beispiel.. Auch das sollten wir uns bewusst machen.
Wo fängt die Arbeit an?
Wer sich zu Teilschritten entschließt, wird sinnvollerweise
dort ansetzen, wo das Verhältnis von Zeitersparnis und Aufwand am günstigsten
ist. Gerade Unternehmen, die noch nie systematischen Zeitwettbewerb
betrieben haben, bieten oft erstaunlich große Erfolgspotentiale. Die
Mittel, sie freizulegen, sind die einfachen Elemente strategieorientierter
Arbeitsmethodik.
Wer seinen Kindern ein Schachspiel schenkt oder ein Mikroskop anstelle eines Fernsehers, der spart nicht nur viel Geld, sondern nimmt gleichzeitig positiven Einfluss. Ähnliche Verhältnisse findet man auch in Unternehmen. Sie zu finden bedarf einer sorgfältigen Engpassanalyse.
Große Ziele
In der Literatur über Zeitwettbewerb finden wir viele Hinweise über wünschenswerte Verhaltensweisen des Managements in Firmen die Zeitwettbewerb anpacken wollen. Die meisten dieser Verhaltensweisen sind allgemeines Geschwätz oder hinlänglich aus den verschiedensten Modeerscheinungen der Managementtheorie bekannt. Doch einen Hinweis finden Sie immer wieder: Es ist die Forderung, große Ziele zu setzen.
Geben Sie als Ziel mindestens eine Halbierung der Durchlaufzeiten vor. Zeitwettbewerb lebt davon, dass Organisationsformen in ihren Grundfesten angezweifelt und überdacht werden. Liegt die Messlatte nur bei 20 oder 30 Prozent, dann wird man auf dem üblichen Wege versuchen, durch konzentrierte, härtere Arbeit, Bereitstellung von zusätzlichen finanziellen oder personellen Mitteln und durch Fokussierung des Managements diese Prozente herauszupressen. Das mag gelingen. Die Organisation hat aber nicht gelernt und für echten Zeitwettbewerb wird es nicht reichen.